Als Kind dachte ich, Heimweh hat man, wenn es daheim nicht schön ist. Damals war ich viel daheim und es gefiel mir da nicht immer. Auch später schien mir meine Sicht der Dinge viel richtiger als die im Duden. Oder gab es etwa nicht regelmäßig falsche Geschenke, Pausenbrote und noch so dies und das schwer Verdauliche aus der Seelenküche? Na also, sag´ ich doch.
Meine Heldinnen saßen jedenfalls nicht im Wohnzimmer und übten Kreuzstich. Wenn schon sticken, dann im Internat. Dachte ich. Leider gehören dort zur Grundausstattung Pferde. In allen Internatsbüchern kamen blöde Gäule vor. Diese wurden regelmäßig und völlig zu Unrecht als treue Menschenfreunde gepriesen. Dabei sind die Viecher dumme Monster mit lächerlich langen Zähnen.
Aber so ist das in der Fremde. Gefahren gehören dazu. Spätestens seit Jim Knopf wusste ich das natürlich. Man muss sich deshalb stets vorsehen: Gegen Pferde wollte ich Tennisbälle einsetzen oder festen Kreuzstich quer übers Maul.
Als ich später tatsächlich kaum noch Autokennzeichen auf der Straße erkannte und hin und wieder sogar das „D“ fehlte, hatte ich aber mehr mit Amtsschimmeln und Papiertigern zu kämpfen. Das Fremde spuckte nicht groß Feuer, es funzelte. Mal schwach, mal stärker. Aber überall. In Gedanken, Worten und Werken. Und in der warmen Blutwurst mit Honig. Ein Leckerbissen zum Nachtisch irgendwo. Wie hierzulande Handkäs mit Musik als Vesper, schätze ich mal.
Seither weiß ich, dass der Duden immer recht hat. Heimweh ist wie Liebeskummer und kann dauern. Wenn’s ganz schlecht läuft, hört das Gefühl vom Verlust aber gar nie auf. Es wird zur lustvollen Sehnsucht nach einem Lindenbaum, den es nie gab. An keinem Brunnen, vor keinem Tor. Heimat-Stalking gewissermaßen. Dann ist auch definitiv Schluss mit lustig.
Wenn die Rolle rückwärts irgendwohin führte, wo es schön ist, mit lecker Pausenbrot für alle, tät‘ auch eine Linde nicht stören.
Foto: Susanne (Wohnung in Tallinn/Estland)
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Helga Speth (Samstag, 30 September 2017 20:27)
Oder die Reise mit dem Wohnwagen als spannendes Abendteuer, ein kleiner roter Koffer, gepackt mit den Lieblingsspielsachen, Illusion einer glücklichen Kindheit.