Wer viel spricht, ist glücklich. Vor allem wer von sich selber spricht. Es werden dabei dieselben Hirnareale aktiviert wie beim Essen, Geldgewinn oder ja, ich kann auch nichts dafür, wenn zwei sich erkennen. Bibelmäßig. So steht es in einem Artikel zum Thema Umgangsformen in der Pandemie in der ZEIT vom 28.04.2022.
Den Artikel haben viele gelesen. Die Auflage der ZEIT mag zurückgehen. Aber die Leser:innen haben sich ein System der Mehrfachverwertung ausgedacht. Dem Nachbarn das Blatt vor die Tür legen, auf Nebenan vorschlagen oder Hinweise bei Twitter. Ich weiß es nicht. Aber ich treffe täglich Menschen, die diese Sorte Glück ausgiebig testen. Ist ja auch in Ordnung. So schnell und so leicht ein paar lustvolle Momente im Alltag? Was gibt es Schöneres. Dazu kostenlos, kalorienfrei und partnerschaftlich neutral.
Vielleicht wird die Übung sogar zur Weltformel für Frieden auf Erden. Alle plappern pausenlos vor sich hin und sind froh. Und glückliche Menschen schlagen nicht so leicht zu. Es sei denn, die eine Plaudertasche ist genervt von der anderen. Fehlende Wahrnehmung, Wertschätzung und so was. Ihr wisst schon.
Das andere Problem ist das erweiterte Ich. Ich stelle mir das vor wie beim erweiterten Selbstmord. Dazu gehört zuallererst die Familie, manchmal auch Glaubensbrüder und -schwestern oder, eher selten, die Passagiere in einem Flugzeug. Ob Kriegsherren auch verkappte Selbstmörder sind, kann ich nicht sagen. Meine Küche ist zu klein für die ganz großen Fragen der Psychologie.
Wenn das glücksuchende Ich nach Größerem strebt, muss es auch aus der Wohnung raus. Raus aus dem Dauergeschwall mit der Liebsten. Es fährt dann zum Beispiel ins Fußballstadion. Da sind massenhaft Doppelgänger. Mit sich und denselben Anderen kann man außerdem viel lauter glücklich sein. Weil das so peinlich ist, wird die Vervielfältigung vom eigenen Selbst Wir-Gefühl genannt. Das macht das Ganze noch schöner. Ist auch irgendwie moralisch besser. Solidarisch, könnte man fast sagen. Wenn auch nur mit sich selber.
Bei der Solidarität mit den glücklichen Fans der anderen Mannschaft hapert’s nämlich. Obwohl sie doch alle vereint sind in der Liebe zu diesem wunderbaren Sport. Da stimmt was in der Logik nicht. Also im Hirn. Wo ja letztlich all der Kram zuhause ist. Liebe und Lust, Hass und Hetze. Die ganze unergründliche Seele.
Was willste also machen, wenn schlecht über Andere reden ebenfalls große Freude macht? Schimpfen, Austeilen, Beleidigen. Klar, Du gehst ins Netz. Dort gibt es Glück hoch Drei. Du sprichst ständig, erstens. Zweitens viel von Dir. Und drittens sind alle Anderen Blödköpfe. Nicht jeder kann schließlich 12 Stunden lange Reden halten wie Fidel Castro ehedem. Kuba und er kamen bestimmt gut weg dabei. Die Gegner in aller Welt bestimmt nicht.
Es bleiben wichtige Fragen: Wenn es stimmt, dass Frauen mehr reden als Männer, sind sie dann die glücklicheren Menschen? Oder die schlimmeren? Oder spricht der stumme Mann innerlich gut über sich und schlecht über die Anderen? Vielleicht freut er sich auch einfach auf das nächste FC Spiel.
Geklärt ist bereits, dass Mühe leider nichts Erfreuliches auslöst im Kopf. Zuhören zum Beispiel.
Foto: Helga Speth
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Imke (Sonntag, 15 Mai 2022 13:23)
Aber was macht der Mensch, wenn in der Bundesliga jetzt Sommerpause ist???